Vertraute Fremde

Name: Vertraute Fremde
Englischer Name:
Originaltitel: Haruka na machi e
Herausgebracht: Japan: Shogakukan 2005
Deutschland: Carlsen 2007
Mangaka: Jiro Taniguchi
Bände: Einzelband
Preis pro Band: 19,90 €

Story
Der Architekt Hiroshi Nakahara staunt nicht schlecht: Auf dem Heimweg von einer Geschäftsreise nach einer durchzechten Nacht nicht aufgepasst, schon sitzt er versehentlich im falschen Zug. Der fährt nicht etwa zurück nach Tokyo, sondern in seine Heimatstadt Kurayoshi. Um die Zeit bis zum nächsten Schnellzug in die Hauptstadt zu überbrücken, entschließt er sich kurzerhand spontan zu einem Besuch am Grab seiner Mutter. Während er dort betet, wird er plötzlich ohnmächtig – und erwacht in seinem jüngeren Ich als 14-jähriger Mittelschüler! Schnell muss er feststellen, dass nicht nur sein Körper geschrumpft, sondern er auch durch die Zeit gereist ist, zurück ins Jahr 1963.

Auch sein Elternhaus findet er unverändert vor. Wie soll er mit seinem 48-jährigen Geist wieder die Rolle des unmündigen Schülers und Sohnes spielen? Nach anfänglichen Zweifeln und kleineren Schwierigkeiten fügt sich Nakahara schnell in sein altes Ich ein. Es macht ihm Spaß mit alten Freunden abzuhängen, die er zwischenzeitlich aus den Augen verloren hat. In der Schule wird er in mehreren Fächern als Musterschüler gefeiert. Sogar ein Mädchen interessiert sich für ihn.

Am Wichtigsten ist Nakahara aber eines: sein Vater. Der verließ just im Sommer 1963 von einem Tag auf den anderen seine Familie und kehrte nie zurück. Bekommt er etwa eine zweite Chance, das große Rätsel seiner Familiengeschichte zu lösen, das ihn nie losgelassen hat? Oder schafft er es womöglich sogar, die Vergangenheit zu ändern und seinen Vater aufzuhalten?

Eigene Meinung
„Vertraute Fremde“ (im Original „Haruka na machi e“, dt. etwa „Hin zur fernen Stadt“) ist die erste Graphic Novel von Jiro Taniguchi, die bei Carlsen in deutscher Sprache herauskam und ohne Zweifel eines der unterhaltsamstem Werke des Meisters der leisen Töne. Der Lesende wird entführt in die Heimatprovinz des Autors und in eine Zeit, in der auch er seine Jugend dort verlebte. Zeitreisen sind in der Populärkultur wahrlich nicht neu, aber Taniguchi schafft das Kunststück, dem Motiv wesentlich mehr Seele einzuhauchen als die Frage „Würde ich alles nochmal so machen?“. Sein Medium ist dabei der Protagonist Nakahara, der erstaunlich ruhig mit seiner neuen Situation umgeht. Der Wunsch in ihm, seinen Vater bei der Familie zu halten oder zumindest den Grund für dessen Weggang zu verstehen, treiben ihn an. Das führt dazu, dass er nicht nur die Menschen um sich herum, sondern auch sich selbst mit neuen Augen wahrnimmt.

Taniguchis strikte Panelaufteilung und die naturalistischen Hintergründe kommen den Comic-gewöhnten Europäern zupass. Sie erzeugen aber auch eine Sehnsucht, nicht an die „gute alte Zeit“, aber an die Schwierigkeiten und schönen Erlebnisse, die mit der Jugendzeit einhergehen – philosophisch und mit einem Schuss Melancholie. Seine Zeichnungen erwecken die 1960er-Jahre in der japanischen Provinz zum Leben.

Bis zum überraschenden Schluss ist man gefesselt von gut 400 Seiten starken Band, der in westlicher Leserichtung erscheint. Prädikat: Lesenswert!

© Rockita

Vertraute Fremde: © 2005  Jiro Taniguchi  Shogakukan / Carlsen